Home



Quelle:    Lorenz v. Westenrieder, Beiträge, Bd.V, S.322 ff.; Übersetzung aus dem lat.


 

Schulplan des Poeten Gabriel Castner an den Magistrat der Stadt München, 1560
 

Indem ich hiermit Eure etc. einen Inbegriff und Abriß meiner Art und Weise, wie ich bei der Bildung der Jugend verfahren werde, vorlegen will, stelle ich mir Knaben und Jünglinge von allerlei Alter und Fähigkeit vor; diese theile ich in drei, vier oder wie es Umstände fordern mögen, in mehrere Klassen und Ordnungen. So wie sie nun meiner Pflege anvertraut werden, so werde ich selbe erstens und vor allen Dingen zur Frömmigkeit, und dem Dienst Gottes, dann zu heiligen Gebethen beym Anfang und Ende der Schule inständig anhalten.

Dann werde ich sie lehren, wie sie sich eines anständigen und höflichen Betragen befleißen, welche Ehrerbietungen sie ihren Aeltern, obrigkeitlichen Personen, alten Leuten, Lehrern u.d.gl. erzeigen, und wie sie sich gegen ihre Mitschüler betragen sollen.

Die erste der vier Klassen wird aus Knaben bestehen, welche erst im Buchstabiren und Syllabiren aus den eingeführten Büchern unterrichtet werden sollen. Diese werde ich lehren, wie sie die Buchstaben nach ihren Zeichen unterscheiden, zusammensetzen, mit dem gehörigen, und wohl vernehmlichen Ton aussprechen, dann wie sie Sylben, einzelne Absätze, und ganze Redesätze lesen sollen. Ich werde sie zu dem Ende, und bis sie eine gründliche Fertigkeit erlangt haben werden, täglich wenigstens fünf bis sechs Mahl in der Lesekunst üben. Auch sollen diese Schüler aus dem Nahmen- und Sachenverzeichniß täglich ein und andere Wörter, oder, gemäß ihrer Fähigkeit, einen kurzen Spruch, welcher etwa drei bis vier Wörter enthält, auswendig lernen.

Diejenigen, welche bereits wohl lesen können, kommen in die zweite Klasse. Diese werde ich in den Regeln der Conjugationen (Abwandlungen der Zeitwörter) und Declinationen (Abänderungen der Hauptwörter) aus dem Donat, den Fragestücken des Lupuli (Erothematibus Lupuli) fleißig sich üben lassen. Ich werde ihnen auch einige kurze Briefe des Cicero, nach der Sammlung des Sturmius, erklären; in gleicher Absicht werde ich mich des ersten Theiles der Gespräche vom Erasmus, oder der Erzählungen des Heß, der Sprichwörter des Salomo, der moralischen Sätze des Cato, der Fabeln des Aesops, oder anderer schicklichen Bücher bedienen, doch so, daß ich nicht alles mit einem Mahl vornehmen, sondern dabey stäts auf die Zeit und auf die Fähigkeiten der Knaben die geeignete Rücksicht nehmen werde.

Haben die Knaben die Abänderungen der Haubt- und Zeitwörter recht begriffen: so rücken sie in die dritte Klasse. Diesen werde ich die Grammatik des Lupulus, auch etwas von der Prosodie (Tonmessung, Sylbenmaß) erklären. Zu Schulbüchern werde ich den Terenz, den Cicero von den Pflichten, die Briefe des Cicero, die Hirtengedichte Virgils, den Sallust, den Erasmus von der Briefkunst, die Muster des Mosellani benutzen, und dabei durchaus genaue Rücksichten auf die Anwendung der Sprachlehre nehmen.

In die vierte Klasse nehme ich diejenigen auf, welche mit allen Regeln der Grammatik vollends bekannt geworden, und welche nur bei den schweren Stellen, und auch dieß nur selten, zu unterstützen sind. Mit diesen werde ich die Aeneide des Virgils, den Cicero de Oratore, dann dessen Reden, und einige philosophische Abhandlungen, die gewählteren Lustspiele des Plautus, dann wechselweise die Dialectik (Vernunftlehre) und Rhetorik (Redekunst), den Horaz, einige auserlesene Stellen aus Ovids Verwandlungen, den Caesar, Sallust, oder sonst einen vortrefflichen Geschichtsschreiber; ferner die griechische Sprachlehre, und griechische Epigrammata (Sinn-gedichte), wohl auch den Lucian, durchgehen; doch des Quintilian werde ich mich, seiner Weitläufigkeit wegen, schwerlich bedienen.

Auch werde ich die eben genannten Autores keineswegs zu gleicher Zeit den einzelnen Klassen vorlesen; sondern ich werde mit denselben gehörig abwechseln, und reiflich erwägen, was die Fähigkeiten der Schüler und die Zeitumstände erfordern, und wie viele Aufgaben für jeden Tag hinreichen: denn sonst würde ich die Schüler mit gelehrten Sachen mehr überladen, als belehren.

Und da, wie Seneca sagt, wenig daran liegt, wie viele Bücher, wohl aber wie viele gute man besitze: so meine ich wohl, daß die Bücher, welche ich genannt habe, gute Bücher, und daß sie für Anfänger hinlänglich sein.

Über die fünfte Klasse kann ich mich zur Zeit nicht ganz erklären; ich muß zuvor die jungen Leute, welche zu derselben gezählt werden sollen, selbst gesehen, und ihre Fähigkeiten und Kenntnisse geprüft haben.

So lange ich die Regeln der Grammatik wiederhole, werde ich mit den Schülern der zweiten und dritten Klasse täglich alle acht Theile der Rede und deren Fälle durch alle Abtheilungen, Gattungen und Definitionen durchgehen, und die Regeln der Syntaxis (der Wortfügungen), zumahl mit der dritten Klasse bei Zergliederung der Vorlesungen wiederholen.

Die dritte und vierte Klasse wird, außer den Briefen, auch manchmal in Gedichten, oder Versen sich üben, und ich bin der Meinung, daß alle Studirende im Versemachen geübt werden sollen; es müßten nur einige darunter sein, bei welchen es sogleich erscheint, daß ihnen Minerva nicht günstig sei.

Die Schüler der vierten Klasse sollen Reden und Abhandlungen ausarbeiten, und selbe zu Zeiten auch öffentlich ablesen. Es steht noch dahin, in welchem Jahr man vollkommen wohlgesetzte Reden fordern wolle.

Der ganze Endzweck meiner Schule wird sich darauf beziehen, es dahin zu bringen, daß die Knaben und Jünglinge rein, zierlich und fertig zu reden und zu schreiben, und die Geschichtsschreiber zu erklären verstehen. Und ich schmeichle mir, dieß in kurzer Zeit zu Stande bringen zu können.

Der ersten und zweiten Klasse wird mein Unterlehrer, der dritten und vierten Klasse aber werde ich gewöhnlich vorstehen. Doch werde ich wechselweise einen Tag die Schüler der ersten Klasse, und den andern Tag die Schüler der zweiten Klasse wenigstens einmahl selbst lehren und prüfen; oder ich werde vielleicht diese Abwechslung in die Vormittags- oder Nachmittagsstunden eintheilen; ja ich werde den Buchstabireren und Donatisten jede Woche ganz allein einen Tag abwarten. So oft dies geschieht, wird mein Unterlehrer indeß mit der dritten und vierten Klasse sich beschäftigen. Ueberhaupt wird sich der Dienst des Schuladstanten erst dann, wenn die Schule bereits ihren Anfang genommen, recht eigentlich bestimmen lassen.

Die Schüler sollen täglich, ehe sie aus der Schule entlassen werden, ein wenig vor vier Uhr nähmlich, eine nützliche Lehre oder sonst eine vortreffliche Stelle abschreiben, und selbe den andern Tag, nach dem Schulgebeth, erst auswendig hersagen, dann auch in der Muttersprache ausdrücken. Ich verstehe hier die Schüler der dritten und vierten Klasse; denn die Schüler der

zweiten werden ihr Gedächtniß mit einer andern Aufgabe üben.

Sie werden mit jeder Woche das Evangelium und die Epistel des Sonntags und der übrigen Feste lernen; und zwar die Schüler der zweiten Klasse einen Theil des Evangeliums, die Schüler der ersten Klasse aber drei bis vier Wörter.

Wenn ich welche sehen werde, die in ihren Studien solche Fortschritte gemacht haben, daß sie auf die erwähnte Weise reden und schreiben können, daß sie die Regeln der Vernunftlehre und Redekunst gründlich gefaßt, und deren schickliche Anwendung erlernet, daß sie den Geist des Virgil, Horaz, Cicero, Sallust u.a. wohl durchdrungen haben: solchen werde ich rathen, nach Akademien abzugehen. Wollen sie aber noch ferner bleiben, so werde ich dafür sorgen, sie zu ihrer weiteren Vervollkommnung zu beschäftigen.

Wenn ich bei einigen eine Schwäche des Geistes, und die zum Studiren nöthige Fähigkeit nicht wahrnehmen sollte: so werde ich solche mit keinen vergeblichen Anstrengungen martern; sondern vielmehr sie selbst und ihre Aeltern bitten, sich einen andern Lebensberuf zu wählen.

Doch es würde zu weitläufig ausfallen, wenn ich jegliche, und die kleinsten Theile meiner Weise, Schule zu halten, vortragen wollte. Die Schüler werden lateinisch, nicht deutsch sprechen. Sie werden zu gewissen Zeiten in der Schönschreibkunst sich üben; sie werden gelehrte Streitigkeiten halten, und nach dem Maß ihrer Kenntnisse etwas auf diese oder jene Art erklären; sie werden sich in der Lesekunst, in schriftlichen Aufsätzen üben, und die Ordnung und den Zusammenhang eines guten Vortrags sich eigen zu machen suchen; sie werden nach gewissen Anweisungen ihre Aufgaben wiederholen; sie werden das Gedächtniß üben, singen, und viele andere Dinge lernen, mit deren Beschreibung ich Eure Mag. nicht ermüden will. Auch wird es mir leichter sein, mich über jegliche Puncte und Theile des Unterrichts zu erklären, wenn ich die Lehre bereits einen und mehrere Monathe werde versucht haben. Indeß, meine ehrenfesten Herren, ersuche ich Sie, mich dem Magistrate zu empfehlen, und versichert zu bleiben, daß ich es (ohne mich zu rühmen) an den wesentlichen Eigenschaften eines guten Lehrers nicht werde ermangeln lassen; sondern vielmehr alles leisten werde, was ein geschickter, treuer, und fleißiger Lehrer nur immer leisten kann.



Seitenanfang