Home        Artikel


Dokument 6: Schreiben Thierschs an den König vom 2. September 1810
 

An Seine Königl. Majestät von Baiern.

Allerunterthänigste Beschwerdeschrift des Dr. Fr. Thiersch, Professor am Gymnasium zu München,

die widerrechtliche Verbreitung eines ihn angehenden Allerhöchsten Rescripts und deren Folgen betreffend.

Zum Hohen Ministerium des Innern - Studiensection

Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König!

Allergnädigster König und Herr!

Ewr. Königl. Majestät wollen es allergnädigst geschehen lassen, daß ich durch ein Zusammentreffen von widrigen Vorfällen, gezwungen werde, Allerhöchst dero Schutz von neuem allerunterthänigst anzurufen. Es geschieht in der festen Zuversicht, daß E. königl. Majestät allerhöchst dero Diener gegen unverdiente Herabwürdigung beschirmen und bei dem Ansehen erhalten

werden, ohne welches für einen Mann von Gefühl, für Pflicht und Ehre weitere Führung seines Amtes besonders an einer Schulanstalt unmöglich wird.

Meine Klagen erheben sich keineswegs über den Tadel, der mich im Namen E. Kön. Majestät in dem Augenblicke traf, wo ich Billigung und Genugthuung erwartete. - Aber, fortdauernd entschlossen, ihn unterwürfig zu ertragen und den Schmerz darüber durch mein Bewußtseyn zu beruhigen, werde ich unerwartet von Folgen desselben getroffen, welche mit ihren neuen Kränkungen keineswegs in dem Willen E. Kön. Majestät liegen können und mich gegen meinen Entschluß nöthigen, den Gegenstand noch einmal zur Sprache zu bringen.

Nachdem auf Veranlassung meiner allerunterthänigsten Beschwerdeschrift über strafbare Bewegungen in meiner Klasse und das Benehmen des Directorats dabey, ich selbst, der Director Weiller und meine Schüler zum Protokoll waren verhört worden, ward ich rücksichtlich meiner Amtsführung überhaupt und meines Benehmens in diesem Falle insbesondere eines mehrfachen Tadels für würdig erkannt, der allein auf Angaben und Insinuationen der Beklagten gegründet war, gegen welche man mir keine Vertheidigung gestattet hatte. - Folgendes waren die Hauptpunkte des ausgesprochenen Urtheils, welches mir von E. Kön. Majestät Geh. Rath von Zentner, in Gegenwart des Oberstudienraths Hobmann, bekannt gemacht wurde.

1. Der Director Weiller wurde unschuldig befunden und mir die ungebührliche Anklage desselben verwiesen, ungeachtet er

a) den Klagen einer ganzen Klasse gegen ihren Lehrer Gehör gegeben und dadurch ihre Widersetzlichkeit begünstiget hatte. - Indem E. Kön. Majestät dieses den Rectoraten für künftige Fälle untersagt haben, so [ist] dadurch auch der Grund meiner Klage anerkannt, - ungeachtet er ferner

b) durch seine Erklärung, die betreffenden Stunden seyen außerordentliche, keiner sey gezwungen, sie zu besuchen, jene Widersetzlichkeit genährt,

c) durch seine spätere Erklärung: eine davon müsse von ihnen besucht werden, sich selbst widersprochen, endlich ungeachtet er

d) nachdem er mir zugesagt, die Schüler in dieser höchst bedenklichen Sache nicht weiter zu hören, sondern an mich zu verweisen, gleich darauf eine Anzahl zu sich beschieden und mich durch neue Erklärungen an dieselben in Widerspruch mit mir selbst gesetzt hat.

Alle diese Punkte ergeben sich von selbst aus dem Hergange der Sache und konnten durch kein Verhör modifizirt und verändert werden.

2. Es wurde mir verwiesen, daß ich widerrechtlich Zwangsstunden eingeführt,und meine Schüler zur Besuchung derselben angehalten hätte, ungeachtet die Eine derselben statt der zum Behuf des Religionsunterrichtes mir entzogenen eingetreten, und demnach als eine von den mir gesetzlich angewiesenen 16 Lehrstunden zu betrachten war. Was aber die andere Stunde anbelangt, die

späterhin und nicht immer gehalten wurde, je nachdem der sich häufende Lehrstoff sie für meine Absichten nöthig machte, so hatte ich wegen eines so unbedeutenden Überschusses von höchstens einer Summe von 12 Stunden im Lauf der ganzen Schulzeit um so weniger Tadel erwartet, da man dem obersten Lehrer der franz. Sprache seine Schüler das ganze Jahr über zur Besuchung eines 12stündigen wöchentlichen Unterrichts anhalten ließ, ungeachtet nicht einmal 6 Stunden gesetzlich vorgeschrieben waren. - Ich weiß wohl, daß man mir unreine Absichten beilegt, - meine Bemühungen als eigennützig ansieht: Manchem ist es unbegreiflich, daß Jemand sein Amt mehr lieben kann, als die ihm gesetzlich zukommende Muße.

3. Mein Benehmen bei dieser Verhandlung wird einem scharfen Tadel unterworfen. Noch jetzt bin ich überzeugt, daß ich auf der einen Seite gethan, was die Billigkeit, und auf der andern, was die Erhaltung meines Ansehens gefordert hat, und daß der Lehrer sich vor seinen Schülern compromittirt, der durch ihre Anklagen und Widersetzlichkeiten gezwungen wird, Rückschritte in seinen Maaßregeln zu ihrer Bildung nicht nur zu thun, sondern auch genöthigt wird, dieses ihnen selbst zu eröffnen.

4. Ich werde zu einem veränderten Betragen gegen den Director Weiller verwiesen. Auf meine mündliche Erinnerung, daß ich in meinen Dienstverhältnissen gegen ihn durchaus nichts versäumt, was ihnen gemäß ist, wohl aber von seiner Seite im Laufe des Jahres Kränkungen erfahren hätte, ging man auf den Schluß des vorigen Jahres zurück, wo er in der hiesigen Literaturzeitung über seinen ehrenrührigen Jahresbericht von mir war zur Rechenschaft gezogen worden. Noch jetzt bin ich der Meinung, daß öffentliche und unverdiente Herabwürdigung einer Anstalt und eines Lehrerpersonals öffentliche Bloßstellung von einem Jeden verdient, der dazu Muth oder Gelegenheit hat, und daß es außerdem den Lehrern zugekommen wäre, bey E. Kön. Majestät um die Veranlassung einer Ehrenerklärung Allerunterthänigst zu suppliciren. Wenn ich, wie ich mich zu erinnern glaube, in dieser Sache mit einigen Professoren sprach, so ist das keineswegs Aufwiegelung, sondern Ermahnung zu einem Schritte, den ich bey ehrliebenden Männern als nothwendig voraussetzen müßte; nicht auf mein, sondern auf deßen Haupt schlägt aller Tadel zurück, der jenen Scandal gegeben hat. - War, wie ich vermuthen darf, in des Director Weiller Klageschrift davon die Rede, daß ich, nebst andern, Urtheile über die Baiern gefällt, welche nur von Dünkel, Lieblosigkeit und niedriger Gesinnung können eingegeben werden, so ist dagegen nichts zu erinnern, als daß ich jene Anschuldigung bis jetzt nur aus Schmähschriften kennen zu lernen Gelegenheit hatte.

5. Anderer Tadel traf mich wegen Behandlung meiner Schüler. Ich erklärte dagegen, daß ich meine Klaße zwar mit Ernst und nöthiger Strenge behandelt habe, und auch künftig behandeln werde, daß aber diese nie in Mißhandlung übergegangen sey und die als Lügner zur Strafe gezogen werden müßten, durch deren Angaben eine solche Meinung habe entstehen können. Man hat durchaus kein anderes Beispiel anzuführen, daß meine Rügen über scharfe Verweise oder das gewöhnliche Herausrufen aus den Bänken hinausgegangen, als daß ich einmal einen von den trägsten und letzten vor dem Katheder habe niederknien und nach dieser Demonstration sogleich auf seinen Sitz mit der Bemerkung zurück gehn lassen: es wäre mir zuwieder, bey einem meiner Schüler Strafmittel anwenden zu müssen, die man früher hätte gebrauchen sollen, um ihn zur Vernunft zu bringen. Im Gegentheil sind unter meinen jetzigen und vorjährigen Schülern mehrere, welche, weil sie ihre Schuldigkeit gethan, von mir nie ein unfreundliches Wort gehört; bey der Überzahl aber wird strenger Ernst um so nöthiger, weil ihr Hang zur Bequemlichkeit und besonders zur Vergeßlichkeit mehr, als präponderirend ist.

Daß darüber mancher Lärm entstand, weil man es anders gewohnt war, dürfte vor allem bey einer Anstalt nicht beachtet werden, wo regere Thätigkeit und wissenschaftlicher Geist statt des alten Schlendrians erst noch begründet werden soll. Ich muß es demnach wiederholt beklagen, daß man, statt den Lehrer zu unterstützen, die Schüler hört und nicht nur hört, sondern ihnen auch Veranlassung giebt, zum Protokoll auszusagen, was ihnen ihr bößlicher Wille und die Nothwendigkeit, sich zu vertheidigen in den Sinn bringt. - An den Pedell sogar ist die Frage ergangen, ob ich nicht irgend einmal ihn beleidiget habe.

6. Der härteste Tadel, der mich treffen konnte, bezog sich auf die Art, mein Lehramt zu verwalten. Obwohl mein Eifer, das Studium der griechischen Sprache in meiner Klaße zu beleben, nicht verkannt werden sollte, so wurde doch tadelnd bemerkt, daß dieses nicht auf Unkosten anderer zur Bildung nöthiger Gegenstände geschehn, daß der Unterricht nicht bloß grammatisch seyn, noch mit einer Härte betrieben werden müsse, welche den Schülern das Studium selbst verleite.

Über die angebliche Härte wurde so eben gesprochen, - daß meine Schüler die Lust zur Arbeit und zum Griechischen nicht verloren, daß sie im Gegentheil das Arbeiten erst in seinem Umfange und nach seinem Genuß kennen gelernt, davon zeugen die Stöße von Privatarbeiten, die bey der Prüfung vorgelegt worden sind und bey der Überzahl von Schülern mehr umfassen, als in andern Klaßen öffentlich ist gethan worden. Jedem, der es beurtheilen kann, wird darin eine vorherrschende Liebe für das griechische Studium auffallen, welche ohnfehlbar eintritt, wenn dasselbe mit Urtheil und Gründlichkeit betrieben wird.

Übrigens erklärte ich gegen jenen Tadel, mir sey wohl bekannt, daß man ausgebreitet, in meiner Klaße werde nichts als Griechisch und auch vom Griechischen nichts als Grammatik getrieben, weil ich nichts anderes verstünde. Es habe mir tief unter meiner Würde geschienen, auf ein so elendes Vorurtheil zu achten, das ich in jeder Lehrstunde durch meinen Unterricht wiederlege, der sich mit gleicher Beharrlichkeit über alle Gegenstände verbreite. Ich berief mich auf meinen Unterricht in der Geschichte, in der Geographie, auf die mancherley Arbeiten und Maaßregeln, welche ich mit Aufopferung meiner ganzen Zeit zur Belebung des Privatfleißes des deutschen und lateinischen Studiums verwendet hatte. Ich wisse wohl, daß man mich von vielen Seiten zu verläumden und zu verfolgen bemüht sey; doch dürfte ich den Herrn Geh. Rath von Zentner auffordern, des Resultates meiner ordentlichen Prüfungen zu gedenken, und nach dem, was er selbst gesehn und gehört, sein Urtheil über mich auszusprechen. Er erklärte mir rücksichtl. der historischen Studien, daß er wünschen müßte, die Geschichte würde auf allen Gymnasien und von allen Professoren so vorgetragen, wie von mir, - (der Oberstudienrath Hobmann stimmte bereitwillig diesem Urtheile bey-) und fügte hinzu, daß meine Klasse sich bey der Prüfung vorzüglich ausgezeichnet, und daß die Art, wie ich die Sachen behandelt, wie ich geprüft, überall den wohlverdienten Beifall gefunden habe. Durch solche mich ehrende Äußerungen meines Vorstandes wurde mir der über meine Amtsführung ausgesprochene Tadel zum vollkommenen Rätsel, da ich durch denselben aller der Mängel bezüchtiget wurde, die einen einseitigen und verbohrten Pedanten ohne Urtheil und Methode kenntlich machen. -

Als die Vorlesung des Allerhöchsten Rescripts vollendet war, bat ich unterthänigst, die Bemerkungen zu entschuldigen, die es mir zu meiner Rechtfertigung abgenöthigt. Der Herr Geh. Rath von Zentner äusserte: daß er vermuthet, die Sachen würden sich anders verhalten, und daß man in Zukunft alle Rücksicht auf mich nehmen würde. Ich schied mit der Zusage, alles gern zu vergessen, wenn ich um diesen Preis mir für die Zukunft den Frieden erkaufen könnte.

Doch leider sollte ich in dieser Hoffnung kaum einen einzigen Tag zubringen. Denn, während ich erwartete, man werde den unverschuldeten Tadel auf sich beruhen lassen, muß ich annehmen, daß man ihn in seinem ganzen Umfange dem Rectorat mitgetheilt habe, und schon am zweiten Tage darauf wurde ich in Beziehung auf denselben von Studenten unserer Anstalt in meiner eigenen Wohnung auf eine höchst empörende Weise beunruhiget. - Der Vorfall ist folgender: Als ich gestern Nachmittag ruhig in meiner Wohnung war, zog plötzlich ein gewaltiger Lärm meine Aufmerksamkeit auf sich, der über Eck nach meinem Fenster von der Seite des physikalischen Lehrzimmers herkam. Ich unterschied bald heftiges Gelächter, zwischen dem mein Name genannt wurde. Ein großer Mensch, wie nachher erfuhr, mit Namen Holzner, der im Fenster lag, rief einer mir unsichtbaren Person zu, ob es wahr sey, daß der Prof. Thiersch so tüchtige Verweise bekommen habe. Die Frage dieser wahren Metallstimme schallte weit über den Garten und den Seminarhof, wo die Studenten spielten, so wie das neue Gelächter, welches von seiner Seite ihr folgte, samt noch andern Bemerkungen, daß dieses in Baiern unerhört sey, u. dgl. - Es war einer von den Lyceisten, welche in diesem Zimmer ihre gefängliche Haft aushielten: er setzte den Lärmen so lange fort, bis ich eintrat und die Namen der Gegenwärtigen: Holzner, Auracher, Erhard, Hosch, Boos aufzeichnen ließ. - Ich spreche nicht von der Absicht dieses Menschen, die offenbar am Tage liegt, da er mich durch mein offenes Fenster in einer Entfernung von kaum 8-10 Ellen stehn sah, wohl aber muß ich meine Klagen darüber anheben, daß jener Tadel, den ich so wenig verdient, auf einem mir unbekanten Wege öffentlich verbreitet worden ist, und mich dem Spott der Schüler ausgesetzt hat, unter denen ich leben und lehren soll.

Es würde Frevel an Ew. Majestät seyn, wenn ich diesen Erfolg als durch Höchstdero Maaßregel beabsichtiget ansehn wollte; vielmehr trage ich die sichere Überzeugung, daß Allerhöchst Dieselben auf meine allerunterthänigste Bitte allergnädigst werden untersuchen lassen, auf welchem Wege, ein Beschluß, der aus so dringenden Gründen geheim bleiben mußte, seye verbreitet und solches Ärgernis veranlaßt worden. Läugnet der Holzner, was ich von ihm berichtet, und findet sich niemand, der meine Aussage bestätigen mag, so bin ich bereit, sie nach allen Umständen eidlich zu bekräftigen.

Auf gleiche Weise bitte ich, allerunterthänigst daß E. Königl. Majestät zur Sicherung meiner so vielfach blos gestellten Ehre, ohne welche mir dieweitere Führung meines Amtes unmöglich wird, das Nöthige allergnädigst verfügen mögen, welches geschehen wird, wenn Allerhöchst Dieselben sich von dem Resultat der Prüfungen meiner Klasse durch Höchstdero Geh. Rath von Zentner und Oberstudienrath Wismayer, welche dabei zugegen waren, berichten lassen, und nach Beschaffenheit dieses Berichtes mich einer öffentlichen Anerkennung meiner Arbeiten und ihres Erfolgs für würdig achten können.

Der ich in tiefster Unterwürfigkeit verharre

Ew. Königl. Majestät

allerunterthänigst gehorsamster Diener

Dr. Friedrich Thiersch

königl. Professor beym Gymnasium hieselbst

München, d. 2.Sept. 1810