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Dokument 4:

Anzeige des Oberstudienrats Niethammer (18. 2. 1810)
 

Anzeige einer wider ihn und respective wider die Regierung, bei dem hiesigen Publicum in Umlauf gesetzten gefährlichen Verleumdung.

Allerdurchlauchtigster Großmächtigster König

Allergnädigster König und Herr!

Eurer Königlichen Majestät sehe ich mich gedrungen, folgenden bedenklichen Vorfall zur allerunterthänigsten Anzeige zu bringen.

Der Rector Weiller hieselbst hat in einer wider mich gerichteten Eingabe vom 18.Aug.v.J. nachstehende Stelle einfließen lassen: "Er ist im Stande, ich will nicht sagen, die Minorität zu begünstigen, aber doch die Bedürfnisse der Majorität wiederholt zu vergessen, und dann doch Entwürfe zu allgemeinen geltenden Organisationen vorzulegen. So ist ja nach seinen Vorschlägen heuer für die etliche und zwanzig protestantischen Schüler des hiesigen Schulhauses ein eigener Religionslehrer angestellt, für die mehr als fünfhundert katholische(n) nicht nur kein solcher vorhanden, sondern es ist in den drey obern Klassen des Gymnasiums selbst den übrigen Professsoren vor lauter Latein und Griechisch nicht ein Mahl eine Stunde freigelassen, worinn etwa sie (versteht sich den Prof.Thiersch ausgenommen) Religion lehren könnten."

Es ist beinahe unbegreiflich, wie der Rector Weiller eine so durchaus grundlose Beschuldigung unmittelbar vor den Thron Eurer Königlichen Majestät selbst zu bringen sich erdreisten konnte. Geruhen Eure Königliche Majest"t zum Beweise der gänzlichen Nichtigkeit dieser Beschuldigung hier nur folgende beide Punkte allergnädigst an zuhören:

1.

Es ist völlig grundlos, was der Rector Weiller in der oben angeführten Stelle behauptet, daß das Allgemeine Normativ für die Einrichtung der öffentlichen Unterrichts-Anstalten in dem Königreiche - (denn nur von diesem nicht von mir kann die Rede in dieser Regierungs-Angelegenheit seyn) - "die mehr als fünfhundert katholische(n) Schüler des hiesigen Studienhauses ohne Religionsunterricht gelassen habe." In dem Allgemeinen Normativ Tit.III, Nr.5 sind ausdrücklich a) für die beiden Primärschulen, also auf 4 Jahre, wöchentlich 3 Stunden, b) für die beiden Klassen des Progymnasiums, also auf 2 Jahre, wöchentlich 2 Stunden Religionsunterricht vorgeschrieben; überdies ist c) für die Unterklasse des Gymnasiums ein vollständiger Cursus von wöchentlichen 4 Stunden über Religions-Rechts- und Pflichten-Kenntniß angeordnet; dessen hier nicht einmal zu gedenken, daß d) für die katholischen Schüler jeden Sonntag ein besonderer, dem Religionsunterricht vorzüglich gewidmeter, Gottesdienst, und e) täglich eine eigene Nachtandacht gehalten wird. Es läßt sich ohne Anstand behaupten, daß in keiner Studienanstalt des ganzen übrigen Teutschlands die Schüler so viel mit Religion beschäftiget werden.

2.

Eben so unbegründet ist der Vorwurf, "daß ich bloß für den Religionsunterricht der protestantischen Schüler des hiesigen Studienhauses gesorgt habe aus Parteilichkeit für die Minorität oder aus Vergessenheit der Bedürfnisse der Majorität." Eure Königliche Majestät Allerhöchselbst haben die weise Verordnung ausgesprochen: "Daß in allen der Confession nach gemischten öffentlichen Lehranstalten des Königreiches für die Schüler, die eine von der des ordentlichen Lehrers verschiedene Confession haben, der Religionsunterricht durch einen eignen Lehrer ihrer Confession ertheilt werden solle." Diese Verordnung ist - nicht durch mich, sondern - durch Eurer Königlichen Majestät geheimes Ministerium des Innern bei der hiesigen Studienanstalt durch die Aufstellung eines eignen protestantischen Religionslehrers für die protestantischen Schüler vollzogen worden, wie sie auch für die katholischen Schüler an den protestantischen Studienanstalten zu Ulm und zu Nürnberg in Vollzug gesetzt ist. Diese Vollziehung einer allerhöchsten Verordnung ist es, welche der Rector Weiller in seiner Eingabe an Eure Königliche Majestät als eine von mir verübte Parteilichkeit vorstellt.

Es sind nur zwei Fälle denkbar, wie der Rector Weiller zu dieser Behauptung einer zweyfachen so auffallenden Unwahrheit kommen konnte: entweder er hat das Allgemeine Normativ, dem seine Angabe direct widerspricht, gar nicht gelesen, oder er verläugnet dessen Inhalt, indem er wider mich als den Verfasser desselben die doppelte harte Bezüchtigung 1) der Gleichgültigkeit gegen Religion und 2) des Confessionshasses zugleich ausspricht. Im einen wie im andern Falle ist er ohne Zweifel strafbar.

Allein, vor Eurer Königlichen Majestät hierüber Klage zu führen, ist nicht meine Absicht. Ich habe diese Beschuldigung, so lange sie nur gegen meine Person gerichtet schien, nicht geachtet; ich habe sogar, unerachtet ich Beweise in Händen habe, daß der Rector Weiller seine Bezüchtigung wider mich zugleich auch mündlich weiter verbreitete, ruhig dazu geschwiegen, überzeugt, daß eine so gänzlich grundlose Verleumdung um so schneller wieder verfallen müßte, wenn sie gar keiner Widerlegung gewürdigt werde.

Jetzt aber tritt dieselbe Beschuldigung - in dem Augenblick, wo die Geschäftigkeit gewisser Menschen alles aufbietet um hier unter dem Volke einen allgemeinen Religionshass aufzuregen, aufs Neue hervor, mit Zusätzen vermehrt, und mit bedeutenden Winken von gefährlichen Folgen welche die allgemein verbreitete und auf mich namentlich und und ausschließend gerichtete Nachrede für mich haben könne, begleitet. Jetzt nämlich wird ausgesprengt: "ich alleine sey schuld, daß in der lateinischen Schule keine Religion gelehrt werde, und aus den teutschen Schulen alle Katechismen verbannt seyen"; und man setzt hinzu, "daß eine allgemeine bedenkliche Unzufriedenheit darüber herrsche, und sich schon lautes Murren darüber vernehmen lasse."

Dadurch hat jene Beschuldigung einen ganz andern Charakter angenommen. Jetzt betrifft sie nicht mehr meine Person (der hierinn keine Gefahr unter dem Schutze der Gesetze drohen kann;) sie betrifft jetzt vielmehr die Regierung selbst, als ein gefährlicher Versuch, das Volk aufzuwiegeln; und mich treibt jetzt die allgemeine Unterthanen-Pflicht, schleunigst die Anzeige von diesem gefährlichen Versuche vor den Thron Eurer Königlichen Majestät zu bringen, und die mir bekannte Hauptquelle anzugeben, aus welcher die Beschuldigung zuerst ausgeflossen ist, die man jetzt zu einem so gefährlichen Zwecke gebraucht.

Inwiefern actenmäßig erwiesen ist, daß jene Beschuldigung von dem Rector Weiller in der oben angeführten Stelle bestimmt ausgesprochen worden, und inwiefern ich beweisen kann, daß er dieselbe Beschuldigung zugleich auch mündlich verbreitet hat, ist er als Urheber derselben in hohem Grade verdächtig, der Verbreitung derselben aber auf jeden Fall schuldig. Wenn er nun auch an dem neueren Umtrieb jener, jetzt aufrührerisch gewordenen, Verleumdung, so wie an den neueren Zusätzen zu denselben, keinen Theil haben sollte; so hat er ohne Zweifel doch auf jeden Fall schon durch jene ersten Schritte verschuldet, daß ihm auferlegt werde - was jetzt zur Beruhigung des Publicums nothwendig geworden ist - jene wider mich, und respective vielmehr wider die Regierung selbst, ausgestreute verleumderische Beschuldigung öffentlich zu widerrufen.

Der allerhöchsten Entscheidung Eurer Königlichen Majestät alles in tiefster Unterwürfigkeit anheimstellend, in devotester Ehrfurcht ersterbend,

Eurer Königlichen Majestät

allerunterthänigst gehorsamster

Niethammer

K.Ober-Studien-Rath

München, den 18ten Febr. 1810