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Protocoll

Welches bei der Untersuchung der beiderseitigen Beschwerde des Directors der hiesigen Studien-Anstalt Weiller, und des Profeßors der Ober-Mittel-Klasse bei dem hiesigen Gymnasium Thiersch, abgehalten worden ist.
 
 

München, den 5ten Juny 1810
 
 

Praesentes:

Der k. Ober-Studien-Rath bei dem Ministerium des Innern Hobmann

Der k. Minist. Studien-Sections-Kanzlist Meyer.
 
 

Nachdem der Profeßor der oberen Mittel-Klasse bei dem hiesigen Gymnasium, Thiersch, bei S. Königl. Majestät in einer Vorstellung vom 1ten d.M. über strafbare Bewegungen unter den Schülern seiner Klasse und das Benehmen des Rectorats, - dann der Director der hiesigen Studien-Anstalt gleichmässige Beschwerde unter demselben Dato gegen obenerwähnten Profeßor übergeben hatte, - so wurde dem zur Seite bemerkten Ober-Studien-Rathe unterm 3ten d.M. der allerhöchste Auftrag ertheilt, da das Rectorat in dieser Sache selbst beklagt ist:

die von dem einem und anderem Theile vorgebrachten Beschwerden zu untersuchen, und das Resultat der Untersuchung, mit Beilegung des darüber abgehaltenen Protokolles, zur Veranlassung geeigneter a.h. Entschliessung dem Vorstande der Minist. Studien-Section vorzulegen.

Zur Vollziehung dieses Auftrages wurde zuerst H. Director Weiller vorgerufen, und über nachstehende Punkte vernommen:

1)

Ob Profeßor Thiersch, als ihm bei Einführung einer Religions-Stunde eine von den 16 Lehrstunden entzogen wurde, mündlich erklärt habe: daß er entschlossen sey, statt der ihm entzogenen Lehrstunde von 11-12 Uhr einige Stunden zur Correctur schriftl. Arbeiten zu halten.

W:

Es war nicht von einigen Stunden, sondern nur von einer Stunde in der Woche die Rede, u. diese eine Stunde wurde als eine außerordentl. betrachtet, sonst hätten auch in anderen Klassen noch einige Stunden mehr gegeben werden müssen.
 
 

2)

Ob und was ihm der H. Director darauf geantwortet habe.

W:

Ist sub N.1 beantwortet, und wird nun noch beigesetzt, daß auch nicht von einer vollen außerordentl. Stun-de die Rede gewesen sey.
 
 

3)

Profeßor Thiersch behauptet, daß ihm von H. Director nichts sey eingewandt worden, auch nichts habe eingewandt werden können, weil wegen Abgang eines besonderen Lehres der philosophischen Vorbereitungs Wissenschaften für die Klasse statt der im Normativ vorgeschriebenen 24 Stunden nur 20 gehalten werden, und weil die Collision mit dem französischen Sprachlehrer Lemoine mittelst Herabsetzung der Lehrstunden von 12 auf 6 weggefallen sey?

W:

Hierauf bemerkt der H. Director nur, daß keine weitere Einwendung gemacht wurde, weil diese Stunde, wie oben bemerkt, nur als eine außerordentl. und nicht als gesetzliche betrachtet wurde, sonst würden mehrere Einwendungen gemacht worden seyn; denn H. Director übernahm die schon bei seinem Vorfahren modificirte Lehrstunden Zahl, sowie manche andere Modification des Normativs, und ließ es dabey bewenden. In Hinsicht des Sprachlehrers Lemoine wird bemerkt, daß Lemoine noch immer 12 Stunden unterrichte, daß aber für die in 2 Klassen gebrachten Schüler eigentl. nur 6 Stunden treffen, nichts destoweniger aber manchmal eine Collision entstanden war, weil die Schüler bey dem Franz. Sprachlehrer nicht erscheinen konnten, indem sie den außerordentl. Unterricht des Prof. Thiersch besuchten. Hierüber seyen sogar schriftl. Klagen von Profeßor Lemoine bei dem Rectorate eingekommen.
 
 

4)

Wieviel Profeßor Thiersch außerordentl. Stunden in jeder Woche gehalten, u. was für Gegenstände er darin beandelt habe?

W:

Im ersten Semseter wochentl. eine, im zweiten Semester fieng Prof. Thiersch an, die Woche zwey außerordentl. Stunden zugeben, und als er außer den Correcturen andere Lehrgegenstände, u. Übungen vornahm, besonders seinen Lieblingsgegenstand die griechische Sprache, Erklärung des Homers, u. Recitiren daraus, so kamen die Schüler zum Directorat u. stellten ihre Klage.
 
 

5)

Ob H. Director schon früher, als die Klasse kam, sich zu beklagen, gegen den Hofmeister des jungen Barons v.Aretin sich geäußert habe, diese Unterrichtsstunde sey eine bloße Privatstunde, deren Besuch dem freyen Willen eines jeden Einzelnen freigestellt bleibe?

W:

Der H. Director erinnert sich ganz und gar nicht, mit dem bemeldeten Hofmeister jemals vor der gestellten Klage davon gesprochen zu haben.
 
 

6)

Ob der H. Director den Pedell Thürmer beauftragt habe, eben dasselbe den Schülern des Profeßors Thiersch bekannt zu machen?

W:

Nein, denn H. Director sey nicht gewohnt, den Schülern etwas durch den Pedell bekannt zu machen, dieß geschehe jederzeit durch den oeffentl. Anschlag, oder durch mündliche Eröffnung an den einschlägigen Profeßor. Auch habe H. Director gar nicht geglaubt, daß zwey außerordentl. Stunden gegeben worden, dieß sey ihm erst durch die Klage der Schüler bekannt geworden.
 
 

7)

Ob die ganze Klasse bey dem H. Director erschien, u. sich über die außerordentl. Stunden beklagte? welche die vorzüglicheren Wortführer dabey gewesen?

W:

Ja, es wurde vom Pedell die ganze Klasse gemeldet, die Schüler sprachen auch im Namen der ganzen Klasse, u. H. Director konnte nicht bemerken, daß Einer davon fehlte. Es sprachen zwar die Meisten, insbesondere aber Jakob Wimmer u. Friedrich Müller.
 
 

8)

Ob der H. Director erklärt habe, daß die außerordentl. Lehrstunde nur eine Privatstunde sey?

W:

Ja, in Bezug auf die französische gesetzliche Lehrstunde, so daß die außerordentl. Stunde im Kollisionsfalle mit der gesetzlichen weichen müsse.
 
 

9)

Ob der H. Director an dem näml. Tage, wo die Klasse sich beschwerte, mit dem H. Prof. Thiersch gesprochen, oder ihm unterm 16ten ein Billet dies Inhalts geschrieben habe? - das Billet wurde abgelesen -

W:

H. Director wollte am näml. Tage, als die Beschwerde geführt wurde, u.zwar sogleich mit dem Prof. Thiersch sprechen, traf ihn aber nicht, u. schrieb ihm alsdann das angezogene Billet. Späterhin, als der H. Director noch am näml. Tage im Nachhause gehen den Profeßor Thiersch im Hofgarten antraf, sprach er darüber auch mit ihm, u. sagte ihm: er möchte es künftig mit der außerordentl. Lehrstunde wie im ersten Semester halten, wozu sich Prof. Thiersch auch verstund.
 
 

10)

Ob Prof. Thiersch nicht Gründe dagegen, wie er in seiner Beschwerdeschrift angeführt, vorgebracht habe? - dictum aus der Vorstellung des Prof. Thiersch -

W:

Allerdings brachte er Gründe an, um, wie ihn H. Director verstund, seine Anforderungen an die Schüler zu rechtfertigen, woraus aber nicht erhellte, daß er auf seinen Forderungen bestehen wolle, um so weniger, als er auf die gemachten Gegenbemerkungen, u. insbesondere auf die, daß er es beym alten belassen müßte, nichts weiter einwendete. Von den 12 französischen Lehrstunden konnte ohnehin die Rede nicht mehr seyn, weil die Schüler nach Eintritt des Schuljahres schon in 2 Klassen getheilt wurden. Auch die Einrede, daß seine außerordentl. Stunden so gut wie die andern oeffentl. Lections-Stunden verpflichtend seyen, wurde ihm erwiedert, daß die gesetzlich festgesetzten Lehrstunden vor seinen außerordentl. immer den Vorzug hätten.

In Betreff der vom Profeßor angeführten Privat-Arbeiten der Schüler, schwieg der H. Director still, um ihn nicht zu reizen, wenn er ihm, wie er es mit gutem Grunde hätte behaupten können, erwiedert haben würde, daß diese freywilligen Arbeiten eigentl. durch Furcht erzwungen wären. Übrigens wurde (von) ihm ausdrücklich benerkt: daß die Beschwerde gerade von den fleißigeren Schülern und nicht nur von einigen nachlässigern, z.B. Mehltretter, Oesterreicher u. dgl. angebracht wurden.
 
 

11)

Welche Schüler als Deputirte der Klasse das Zweitemal die Beschwerde vor das Directorat gebracht haben?

W:

Es waren zwar ihrer mehrere, bestimmt aber erinnere sich H. Director nur an die Schüler Van der Beck und v.Coulon als Wortführer.
 
 

12)

Ob H. Director hierauf das, was er in seiner Vorstellung angegeben, mündlich oder schriftl. dem Profeßor Thiersch eröffnet habe? - Ob er dabey geäußert habe, daß die Schüler wochentl. eine Stunde zu hören verpflichtet seyen?

W:

Nachdem die Deputirten abgetreten waren, schrieb der H. Director dem Prof. Thiersch das von diesem selbst in seiner Vorstellung wörtl. angebene Billet vom 17ten May.

Auf die Frage eines Schülers, ob sie wieder alle 2 Stunden besuchen müßten, antwortete der H. Director: daß sie indeß, bis er die Sache mit H. Profeßor ins Reine gebracht habe, beide Stunden zu besuchen hätten.
 
 

13)

Warum der H. Director das Billet vom 17ten May an Prof. Thiersch geschrieben habe, da er doch früher schon über diesen Gegenstand mit ihm gesprochen.

W:

Um inne zu werden, ob die abgeschickten Schüler die Wahrheit gesprochen hätten, denn es befremdete ihn, daß Prof. Thiersch den Schülern gerade das Gegentheil von dem, worüber sie Tags zuvor übereingekom-men, sollte gesagt haben.
 
 

14)

Warum der H. Director die Schüler Van der Beck, v.Coulon u. Güthe zu sich habe rufen lassen, und ihnen erklärt habe, daß es mit dem Verbleiben beim Alten nur ein Mißverständniß sey, und der Profeßor es bei einer Stunde werde bewenden lassen.

W:

Er hatte die 3 genannten Schüler gerufen, um sein(e) und des Professors Ansagen zu schützen, indem die Schüler widrigenfalls hätten glauben müssen, daß entweder der Eine oder der Andere die Unwahrheit geredet habe, daher würde Ihnen das Ganze als die Folge eines Mißverständisses erklärt.
 
 

15)

Ob nicht vielleicht nur einige Schüler mit den außerordentl. Lehrstunden unzufrieden, und die übrigen theils durch Zureden, theils durch Drohungen dahin gebracht haben, gemeine Sache mit ihnen zu machen? und welche diese gewesen seyen?

W:

Herrn Director ist von Aufhetzungen und Drohungen nichts bekannt, vielmehr mußte Er wahrnehmen, daß die Beschwerde bei der Erscheinung der sämtlichen Schüler als eine ganz allgemeine vorgetragen wurde, indem fast alle sprechen u. klagen wollten, und daher H. Director selbst einen oder den andern zum Sprechen auffordern u. den übrigen Stillschweigen gebieten mußte. Wenn dieß Conspiration genannt werden sollte, so wurde sie durch Überhäufung der Arbeiten ganz natürlich bei allen veranlaßt, und liegt ihr nichts weiter zum Grunde.

Endlich hat Herr Director nichts mehr beizusetzen, als daß gerade seit Anfang dieser Geschichte bis jetzt ihm der Prof. Thiersch höflicher, freundlicher u. zutrauensvoller begegne, mithin die Beschwerde desselben dem H. Director um so mehr befremden müsse.

Damit wurde das Protokoll geschlossen und vom H. Director eigenhändig unterschrieben