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Dokument 2: Klage Weillers über das Verhalten des Professors Thiersch vom 1.6.1810
 

Allerdurchlauchtigster Großmächtigster König

Allergnädigster König und Herr!

Der ehemalige innere Friede ist, wie ich schon einigemahl allerunterthänigst anzuzeigen genöthigt war, Leider! seit ohngefähr einem Jahre von der hiesigen Studienanstalt gewichen, und wird, wie ich schon wieder berichten muß, immer nur noch weiter entfernt.

Das unmittelbare Triebrad der nun herrschenden Unruhe ist der Professor Thiersch: Seine Angriffe sind zunächst und vorzüglich gegen mich als Direktor gerichtet, und zielen dahin ab, die Gemüther der Professoren und seiner Schüler von mir zu entfernen.

Ich glaubte, daß schon früher bald nach meiner Uebernahme des Gymnasiums=Rektorats - und selbst vorher - vorgefallenen Nekereyen dieses jungen Mannes vor Allem durch Nichtachtung derselben begegnen zu müssen. Meine Absicht, ihn auf diese Art durch Ruhe zur Besinnung kommen zu lassen, schlug aber fehl. Ich war genöthigt, bey Gelegenheit einer nothwendig gewordenen amtlichen Erinnerung - betreffend seine Willkühr in Bestimmung der Schüler=Noten, worüber die Beweise noch in meinen Händen sind - endlich ein Mahl Klage zu führen. Ich that es indeß doch nur in einem Privatschreiben an allerhöchsten Vorstand der Studiensektion, um, wo möglich, weitern Spaltungen vorzubeugen, die sich sonst immer tiefer in den Gemüthern eingegraben, sobald sie in Akten eine Art von Consistenz erhalten. Allein ich täuschte mich auch hierin wieder in meinen Hofnungen. Es kam im Ganzen nur eine kurze Scheinruhe zustande, und ich bin nun gezwungen eine förmliche Klage ex officio zu stellen.

Vor vierzehn Tagen kam die Klasse des besagten Prof. Thiersch auf mein Rektoratszimmer, um mir zu sagen, daß ihnen ihr Professor im zweyten Semester zumuthe, bey ihm außer den gestzlichen Schulstunden wöchentlich noch zwey außerordentliche zu besuchen, daß es ihnen aber unmöglich sey, dieser Foderung bey seinen ohnehin ungewöhnlich großen Aufgaben, und bey manchen anderen durch das Gesetz gefoderten Leistungen zu entsprechen. Sie bathen mich, das Ganze wieder in das vorige Geleiß einzuleiten, - mit dem Beysatze, daß sie ja im ersten Semester in der anfänglichen überzähligen halben Stunde, die endlich zu einer ganzen anwuchs, ungeachtet ihrer sonstigen übergroßen Arbeiten ohne weiteres erschienen seyen, und auch jetzt keine Bewegung gemacht haben würden, wenn es bloß dabey geblieben wäre. - Ich versprach, mit dem Professor darüber zu reden, und ihn zu bewegen, daß er es bey der vorigen Stundenzahl bewenden lasse. Ich sprach noch am selben Tage mit ihm, und wir kamen überein, es beym Alten zu lassen. Den anderen Tag erschien eine Deputation der Klasse bey mir mit der Nachricht, daß ihnen ihr Professor heute mit Äußerungen eines bedeutenden Unwillens erklärt habe, daß er von seinen Masregeln nicht um ein Harbreit abweiche, daß es also bey dem ein Mahl bestehenden sein unabänderliches verbleiben habe u.s.f. Ich erwiederte: "Mir scheine da nur ein Mißverständnis in dem Ausdruck: "Es soll beym Alten bleiben" obzuwalten. Sie sollten indeß nur in allen zwey Stunden erscheinen, wenn er es verlange. Ich würde die Sache durch eine wiederholte Unterredung schon ganz ins Reine bringen." - Ich sprach also wieder mit Thiersch, und er sagte mir: er werde es gewiß so einleiten, daß nur Eine Stunde in der Woche treffe - etwa einen oder den anderen außerordentlichen Fall ausgenommen -, - er wolle nur nicht geradezu widerrufen, - - worauf ich ihm antwortete, daß ich sein Ansehen vor den Schülern nicht zu conprommitiren gedenke, daß mir nur am Thun, nicht am Sprechen gelegen sey. - Einige Tage darauf kündigte er seinen Schülern auf einmal mit Heftigkeit an, daß er ihnen überhaupt gar keine der bisherigen außerordentlichen Stunden mehr geben werde, sondern daß er hiemit nur die Besseren Aufrufe, sich von den Schlechtern auszuscheiden und freywillig bey ihm zu erscheinen. Er kam nach dieser Erklärung zu mir, um mich davon auch in Kenntniß zu setzen, und im Falle irgend einer Widersetzlichkeit meinen Beystand im Voraus zu requiriren, welchem ich ihm widerholt für jeden auch den kleinsten Fall von Ungehorsam mit Nachdruck zu leisten versprach. Und nun glaubte ich die Sache im Ganzen endlich ein Mahl abgethan.

Allein wie sehr täuschte ich mich abermahl! denn zu meinem Erstaunen vernahm ich jetzt, - daß diese Schulbegebenheit - wer hätte das denken sollen!! - vor das Stadtgericht gebracht ist. Dieses inquirirt gegenwärtig in dieser reinpädagogischen Sache. Es sind unter Anderm schon mehrere Schüler dieser Klasse - aber nicht wie das sonst zu geschehen pflegte durch das Rektorat - zu Vernehmungen vorgerufen worden. - Ein Faktum, das in unserer Schulgeschichte - so ziemlich einzig ist und - hoffentlich - auch bleiben wird! Man muß dem Stadtgerichte die berührte Schulaffaire von einer ganz verkehrten Seite, als die Wirkung einer Art von - Gott weiß welcher - bürgerlichen Conspiration dargestellt haben. Es mag aber diese Darstellung auf was immer für eine Weise gemeldet seyn, so viel geht aus dem einzigen Umstande, daß eine Erziehungs-Sache zu einer Rechts-Sache gemacht wurde, unbezweifelt hervor, daß dem Benehmen des Prof.Thiersch weitergreifende Absichten gegen mich zu Grunde liegen. Ich wollte meinen schon frühern Vermuthungen hierüber bisher nicht trauen. Nun aber haben sich seine Plane hinreichend entwickelt, und ich verstehe ihn jetzt ganz. Ich sehe, daß seine früheren Schritte gegen mich nur Einleitungen eines größeren Hauptangriffs waren. Wenn er also z.B. seinen Schülern, dafür, daß sie sich an mich als ihren zweitnächsten Vorstand wenden, öffentlich mit seinem Zorn und mit Verunglimpfungen straft, - wenn er ihnen bey Privatvorrufungen unbedingtes Stillschweigen über alles mit ihnen da Gesprochene - folglich auch gegen mich, ihren und seinen Vorstand - auflegt - wenn er eben so bey den Professoren, wie bey den Schülern, gegen mich machinirt, - wenn er rühmlich auch diese nicht nur öffentlich im Drucke, sondern auch insgeheim von Angesicht zu Angesicht mit Verunglimpfungen meiner Person behelligt und zur Conspiration gegen mich aufzureitzen sucht u.s.f. so wird er dadurch nur einen größeren Streich vorbereiten.

Es ist sohin für mich Zeit, gegen ihn eine andere Stellung zu nehmen, und vor Euer königl. Majestät allerunterthänigst förmlich Klage zu führen.

Ich klage daher gegen den Professor Thiersch

a) Daß er durch die unmittelbare oder mittelbare Umgehung seiner nächsten Instanz - des Rektorats in der eben berührten Schulsache meinem amtlichen Karakter schadete, und den Gang unserer hiesigen Studienangelegenheiten sowohl für die Gegenwart als mittels Aufstellung eines solchen auffallenden Faktums auch für die Zukunft störte,

b) Daß er durch sein übriges Benehmen dem so unentbehrlichen Vertrauen zwischen dem Direktor und den Schülern, und sohin der gehörigen Einwirkung des ersten auf die Letzten und ihrer gegenseitigen nothwendigen Annäherung Hindernisse legte,

c) daß er die hiesigen Professoren sowohl überhaupt durch den Druck, als insgeheim mündlich gegen mich einzunehmen und auzuhetzen suchte.

Daß ich zu allem hier allerunterthänigst indeß nur kurz Vorgelegten die weiter nöthigen Aufschlüsse und Belege auf allerhöchstes Verlangen nachtragen kann, versteht sich von selbst. Auch glaube ich, die weiteren pädagogischen Nachtheile, welche von einer solchen Lage der Dinge sowohl in Hinsicht der Intellektuellen als der moralischen Bildung unzertrennbar sind, so wie mehrere andere hierauf Bezug habende Nebenumstände nicht berühren zu dürfen

Ich glaube nur noch die allerunterthänigste Bitte um allergnädigste auffallende Satisfaction wegen eines so auffallenden Benehmens, und um allergnädigste kräftige Verfügungen gegen Wiederholung ähnlicher Vorfälle vorlegen, und nebenher bloß bemerken zu müssen, daß durch das hier Vorgetragene zugleich jener neuerlich von mir nur überhaupt berührte Zustand von Mißvergnügen, welches unter dem Lehrerpersonal der hiesigen Studienanstalt immer mehr um sich greift, etwas ausführlicher erörtert ist. Eine Existenz, die sich nun immerwährend unter solchen elendlichen Plakereyen fortschleppen muß, kann nicht anders als zur Last werden. Und es ist daher sehr natürlich, daß sich so mancher Lehrer findet, dem der Mißmuth über Verlust der Zeit, die so in ewigen Zänkereyen, und der Kraft, die alsdann [in] nothwendig immer wirkungslosen [unleserlich] vergeudet wird, den Wunsch abdringt, in andere frohere und gefeyertere Kreise versetzt zu werden. Was mich betrifft, so ist allerdings auch meine Freude zu den einst so geliebten Schulgeschäften tief angegriffen. Allein da nun das Ganze ein Mahl diese Wendung genommen hat, so bin ich es der guten Sache und meiner Ehre schuldig, mich in dem Posten, von welchem man mich so schmählich verdrängen will, bis aufs Äußerste zu vertheidigen. Und ich werde es unter allerhöchstdero Schutz mit meinem ganzen Muth und mit voller Anstrengung thun.

München, dem 1ten Juny 1810

Euer königl. Majestät

allerunterthänigst gehorsamster

Weiller Direktor