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Dokument 4: Schreiben Weillers an den König vom 11. Juni 1810
 

Allerdurchlauchtigster Großmächtigster König

Allergnädigster König und Herr!

Aus der mit mir unter dem 8ten dieß vorgefallenen Vernehmung wurde ich legal von dem Argwohn des Prof. Thiersch unterrichtet, - "als sey das Benehmen seiner Klasse in der jetzt einer Untersuchung unterliegenden Sache die Folge einer durch Aufhetzung entstandenen Conspiration." - Ich ließ darüber in dem Protokoll unter anderem herkommen, daß mir von irgend einer Aufhetzung nicht das Mindeste bekannt sey, sondern daß ich in der ganzen Geschichte, wenn hier ja von einer Conspiration die Rede seyn könne, nur jene Art von Conspiration sehe, welche sich durch zu großen Druck überall ohne Aufhetzung von selbst macht. Ich glaube zur weitern Bestättigung dieses Urtheils und - damit diese eben so unangenehme als hier neue Streitsache doch nicht ganz ohne Vortheile auch für den Bildungszweck unserer Schüler bleibe - zur Einleitung von Maßregeln, wodurch der Wiederholung dieses bisher unter uns einzigen Falls vorgebeugt werde, noch einige allerunterthänigste Bemerkungen anführen zu müssen, die ich erst jetzt nach Benützung meiner Notaten über die Professoren nachtragen kann, und die über die Entstehung einer solchen Stimmung einer ganzen Schüler-Klasse weitere Aufschlüsse geben. Die vorzüglichsten dieser Bemerkungen sind:

a) Der Prof. Thiersch überladet seine Schüler mit Arbeiten besonders im Griechischen ganz ungemein. Es müssen z.B. fast täglich - außer andern theils gesetzlichen, theils sogenannten freyen Aufgaben, die indeß auch nur in Hinsicht des zu bearbeitenden Stoffes frey sind, übrigens aber ebenfalls geliefert werden müssen, wenn keine unangenehme Folge gefürchtet werden soll - zwischen 100 und 140 Verse aus Homer ohne Vorerklärung einstudirt und viele oft auch memorirt werden. Viele Schüler arbeiten deßwegen den ganzen Tag und tief in die Nacht hinein - manche auf Kosten ihrer Gesundheit - und sind dann doch nicht oder kaum im Stande, den an sie gemachten Forderungen zu entsprechen. - Wie sehr dadurch die Lust und der Muth zur Arbeit gelähmt, und die Tage des eben in dieser Hinsicht äußerst vorsichtig zu behandelnden Jünglingslebens verbittert werden, ist ohne weitere Erörterung klar.

b) Der Prof. Thiersch begünstiget das Griechische so sehr, daß darunter die übrigen Lehrgegenstände leiden. Dem Griechischen werden wochentlich gewöhnlich neun Stunden zu Theil, so daß von den im Normativ für Klassisches Studium bestimmten 12 nur noch drey übrig bleiben, z.B. für das Latein und Deutsche, worin die Schüler dann nothwendig zurückbleiben, um so mehr, als diese Gegenstände auch in der nun verkürzten Zeit nicht mit derselben Theilnahme behandelt, z.B. Fehler im Latein bey weitem nicht mit demselben Nachdrucke gerügt werden, wie griechische Fehler. - Eine solche Einförmigkeit zu Gunsten des Lieblingsgegenstandes kann in jungen Gemüthern wieder nur Abneigung bewirken.

c) Der Prof. Thiersch übt seine Schüler zu wenig in schriftlichen Aufgaben unter seinen Augen - so daß er von ihrer eigenen Arbeit überzeugt seyn kann. - Und doch erwachen ja erst an der auf diese Art zu weckenden Kraft eigener Produktionen die Liebe und der Muth für das einschlägige Fach. Deßwegen waren die Gymnasien schon durch ihre Nahmen als Uebungsschulen dargestellt. Prof. Thiersch läßt aber seine Schüler gewöhnlich höchstens ein Mahl in der Woche schriftliche Arbeiten in der Schule anfertigen, wodurch dann erst ohngefähr alle drey Wochen die Reihe wieder an denselben Gegenstand kommen kann. - So kommen die Schüler nicht zum Gefühl einer eigenen selbstständigen Kraft. So bleibt ihnen die zugemessene Arbeit großentheils immer nur Frohnarbeit.

d) Der Prof. Thiersch beschäftigt sich zu sehr bloß mit der Gramatikal-Bildung auf Kosten der - seiner Klasse eigentlichen - humanistischen. Wenn auch einige Nachläßige selbst in jener noch zurück sind, so dürfen um dieser Willen - die Bessern nicht so gewaltig verkürzt, so darf darüber die Hauptstimmung der Klasse nicht aufgegeben werden. - Was kann in den Schülern entstehen, wenn sie auch da wieder fast Nichts als Gramatik antreffen, wo sie mehr zu finden hoffen? Natürlich! abermahl Nichts als Unlust.

e) Der Prof. Thiersch verliehrt sich auf der andern Seite oft eben so sehr in die abstrakten Regionen seiner Fächer, als er auf der einen zu lange in den mechanischen verweilt. Es wird von seinen Schülern vielfältig über die Unmöglichkeit geklagt, ihm in seinen philosophischen Erörterungen über Sprache u.s.f. zu folgen. Ich wohnte selbst einmahl einer Art Vorlesung - über Geschichte - bey, wie sie eigentlich nur an Lyzeen oder Universitäten an ihrem Platze sind. - Bey Schülern dieses Alters ist es weder das Gedächtniß - mit dem bloß mechanischen Verstand - noch die Spekulative, sondern das Gefühl - mit der Phantasie - wofür der Lehrer vorzüglich zu sorgen hat. - Der Prof. Thiersch wandelt aber gewöhnlich nicht auf diesem Mittelwege, und darum folgen ihm seine Schüler auch nicht mit Lust und Liebe nach.

f) Die Abneigung, welche sich in so gehaltenen jungen Gemüthern gegen das Fach, das ihnen so viele Opfer abfordert und dafür so wenigen Segen giebt, anspinnt, diese Abneigung greift leicht weiter um sich, und dehnt sich auch auf den Mann aus, von welchem in ihren Augen das Fach repräsentirt wird. Aber der Prof. Thiersch reitzt diese Abneigung überdieß noch geradezu gegen sich auf - durch seine inhumane Behandlung der Schüler.Ich brauche darüber nur anzuführen, daß er sich so sehr vergessen kann, im Zorne sogar nach dem Ohr des Schülers greifen zu wollen, was doch sogar laut Armeebefehls selbst bey unseren Soldaten nicht mehr geschehen darf. - Natürlich entsteht durch diese Weise nur Furcht, - sklavische Furcht, - und der Furcht dieser Art ist die Liebe fremd. So wird also erklärbar, daß seine Schüler von dem Gedanke "Prof. Urban könne im künftigen Jahr ab - und Prof. Thiersch an dessen Stelle treten", so bange wird, als stünde ihnen das größte Unglück bevor.

g) Diese gewaltige Furcht wird zum Unglück durch keine kräftige Achtung gemildert, so daß aus ihr Ehrfurcht würde. Wenn der Schüler in seinem Lehrer nicht eben so bestimmt von Seite der Neigungen und Gesinnungen wie der Kenntnisse die nöthige Superiorität des Geistes fühlt, wenn jener in diesem hierüber großentheils nur dasselbe wahrnimmt, was er auch in sich findet, Gereiztheit zu Zorn, Feindschaft, Willkühr, Laune, Befangenheit u.d.gl. so kann sich die jugendliche Achtung nicht emporarbeiten. Und Prof. Thiersch verliehrt in dieser Hinsicht noch zu leicht vor seinen Schülern das dem Lehrer so nöthige Gleichgewicht.

Aus diesen Gründen erklärt es sich, wie mir scheint, hinreichend, wie das kommen konnte und mußte, was nun wirklich kam, - wie sich nähmlich die Gemüther der Schüler einer ganzen Klasse so sehr von ihrem Lehrer abwenden konnten, daß es nur noch eines kleinen neuen Drucks bedurfte, um die langeverhaltene Unzufriedenheit endlich allgemein laut werden zu lassen. - Ohne die gegenwärtige Veranlaßung würde ich die hier vorgelegten Beobachtungen erst am Ende des Schuljahres zur Kenntniß allerhöchst dero Studiensektion gebracht haben.

Zugleich füge ich hier die in meiner Klagschrift vom 1ten Juny berührten weitern Aufschlüsse zum Behuf der nun begonnenen strengern Untersuchung allerunterthänigst gehorsamst bey.

1) In Hinsicht meiner gleich am Eingange aufgestellten Behauptungen, daß der ehemalige Friede an der hiesigen Studienanstalt erst seit kurzem gestört zu werden beginne, berufe ich mich auf alle hier schon länger angestellten, oder angestellt gewesenen und nun in andern Posten befindlichen Professoren.

2) Ueber des Prof. Thiersch Willkühr in Bestimmung der Schülernoten kann ich insbesondere in Rücksicht seiner vorjährigen Schüler Heydolph, Mailbeck, Huttenlocher und Valta die darüber eigenhändig geschriebenen Urtheile des besagten Professors der allerhöchsten Commission zur Einsicht vorlegen.

3) Daß Prof. Thiersch die jetzt auch von allerhöchst dero Studiensektion weitläufig untersuchte Schulbegebenheit wegen der außerordentlichen Stunden zuvor schon entweder unmittelbar oder mittelbar vor das Stadtgericht brachte, dieses weis ich bestimmtvon den Schülern Van der Beck und Friedrich Miller, und von dem Pedell Thürmer. Ich fragte diese drey, nachdem ich von ihrer Citation gehört hatte, - ob sie über das genannte Schulfaktum vernommen worden seyen. Und sie antworteten mir alle mit "Ja". Man mochte sie auch noch über andere Dinge gefragt haben, -- sie darüber zur Rede zu stellen, hatte ich weder Lust noch Willen. Aber in der angeführten Schulsache mußten sie mir als ihrem Direktor die verlangte Auskunft über Ja oder Nein geben. Es mögen übrigens in dieser Sache noch mehrere Schüler u.s.w. vom Stadtgerichte vernommen worden seyen - so z.B. soll auch Aretin dort gewesen seyn - ich hatte an den angeführten Aussagen schon genug.

4) Ob Prof. Thiersch seine Schüler über den zu mir genommenen Rekurs nicht durch bittere Vorwürfe seinen Zorn fühlen ließ, darüber mögen seine Schüler Zeugniß ablegen. - Daß er übrigens den neuerlich einzeln auf sein Zimmer gerufenen Schülern unbedingt verboth etwas von dem da Gesprochenen auszusagen, das hat mir Van der Beck gestanden, welchem ich dann erwiederte: "daß ihm von mir nicht verbothen sey, das, was ich ihm hier zu sagen hatte, seinem Professor und, wie sich von selbst verstehe, seinen Eltern mitzutheilen, nur gegen das übrige Publikum solle er schweigen."

5) Was die vom Prof. Thiersch geschehenen öffentlichen Aufreitzungen der Professoren gegen mich betrifft, so brauche ich nur der neuen oberdeutschen allgemeinen Litteraturzeitung vom vorigen Jahre 103tes und 104tes Stück - insbesondere die Seite 495 zu citiren.

6) In Hinsicht der Privat-Aufhetzungen endlich kann Professor Raab weitere Zeugnisse und Aufschlüße geben. Zu diesem kam nähmlich Prof. Thiersch, um ihn durch Verunglimpfungen meiner Person gegen mich aufzureitzen - mit dem - wie er meinte, ermunternden - Beysatze, daß er schon zwey Professoren auf seiner Seite habe.

München den 11ten Juny 1810

Euer königl. Majestät

allerunterthänigst gehorsamster

Weiller Direktor